Expertenbeitrag

 Anne Schüller

Anne Schüller

Keynote-Speaker, Anne Schüller Management Consulting

CRM Bestandskunden ABC-Kundensegmentierung – antiquiert und gefährlich

Autor / Redakteur: Anne Schüller / Elena Koch

Die Kundenloyalität sinkt. Das macht eine adäquate Bestandskundenpflege wichtiger als jemals zuvor. Die vielerorts immer noch übliche ABC-Segmentierung ist dabei nicht nur antiquiert, sondern auch reichlich gefährlich. Warum das so ist, zeigt dieser Beitrag.

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A-Kunden profitieren von der optimalen Kundenbetreuung. C-Kunden werden oft überhaupt nicht betreut. Ist das die richtige Art der Kundensegmentierung?
A-Kunden profitieren von der optimalen Kundenbetreuung. C-Kunden werden oft überhaupt nicht betreut. Ist das die richtige Art der Kundensegmentierung?
(Bild: gemeinfrei / CC0 )

Die Entscheidungsprozesse der Kunden haben sich längst weitaus drastischer verändert, als die Unternehmen das wahrhaben wollen. Und die Veränderungsschnelligkeit steigt. Viele Anbieter kommen der sich zunehmend digitalisierenden Klientel längst nicht mehr hinterher. Deren Gewohnheiten ändern sich laufend. Ihre Anspruchshaltung steigt ständig. Messlatte ist nicht länger der Wettbewerb, sondern branchenübergreifend der Beste seines Fachs.

Selbst die vormals treuen Stammkunden sind zunehmend absprungbereit. Konditionen werden ständig verglichen. Neues wird laufend gecheckt. Wechseln ist völlig normal. „Solide“ Leistungen und Beliebigkeit fallen gnadenlos durch. Standard und Mittelmaß locken heutzutage niemanden mehr. Wer nicht begehrlich ist, für den klappt das Verkaufen, weil alles so transparent und vergleichbar ist, nur noch über den Preis.

Die bösen Folgen von ABC-Betreuungsvorgaben

Nicht die austauschbaren Produkte, sondern eine Top-Performance, smarte Lösungen und die individualisierte Beziehungsarbeit ergattern heute die Geldscheine wertiger Kunden. Betrachten wir demgegenüber die im B2B immer noch weit verbreitete ABC-Kundenstruktur. Pauschal werden die Kunden mit den höchsten Umsätzen als A-Kunden, Kunden im mittleren Umsatzbereich als B-Kunden und die mit wenig Umsatz als C-Kunden eingestuft.

Diesen drei Kategorien werden Betreuungsstandards zugewiesen, die der Vertrieb zu erfüllen hat. So kommt es, dass ein C-Kunde aus Kostengründen keine Betreuung erhält („Die melden sich schon, wenn die was brauchen!“). Nun wächst dieser Kunden sehr schnell und bräuchte dringend Beratung, doch mangels Betreuung bekommt das niemand mit. Schnell wendet er sich einem anderen Anbieter zu.

Bei einem weiteren Kunden, der seit Kurzem in die A-Kategorie fällt, sieht die Sache ganz anders aus: Sein bisheriger Ansprechpartner, zu dem er blindes Vertrauen hatte, darf ihn nicht mehr betreuen. Zwangsweise wird ihm ein Key Accounter zugewiesen, weil der ab Umsatz x für diese Region zuständig ist. Zu allem Überfluss hat dieser Key Accounter, ein totaler Unsympath, auch noch irre hohe Kontaktvorgaben.

Aus dem Blickwinkel des Kunden betrachtet

Schauen wir durch die Brille des Kunden betrachtet – noch genauer, was nach einem Kauf so alles passiert. Zunächst wird geprüft, ob die Anbieterversprechen eingehalten werden und ob man mit der gekauften Lösung arbeiten kann. Irgendwann geht das Bestellte zur Neige, man will eine andere Variante testen oder eine bessere Version ausprobieren. Ein Neukauf steht an. Nun können drei Dinge passieren:

  • Der Kunde, nennen wir ihn K1, ist völlig begeistert. Von sich aus kauft er wieder und wieder und mehr. Er ist so erfreut über seine perfekte Anbieterwahl, dass er der ganzen Welt davon erzählt. Im Social Web ist er aktiv unterwegs, ein großes persönliches Netzwerk hat er auch. Als Experte auf seinem Gebiet ist er hoch angesehen. Man vertraut auf sein Wort. Was er weiterempfiehlt, hat Hand und Fuß. Viele folgen seinem guten Rat. Neue Kunden kommen. Das Verkaufen ist plötzlich ganz leicht. Kunde K1 ist zu einem potenten Fürsprecher geworden.
  • Der Kunde, nennen wir ihn K2, ist nicht so begeistert. Er geht mal ins Web. Dort verschafft er sich einen Marktüberblick. Er informiert sich darüber, was andere von seinem derzeitigen Anbieter halten, welche Erfahrungen sie mit seinen Produkten machen und ob die Kundenbetreuung was taugt. Was er dort findet, stützt seinen verhaltenen Eindruck. Automatisch laufen ihm auch Mitbewerber über den Weg. Und deren Angebote klingen gar nicht so schlecht. Die Bewertungen sind gut, die Referenzen 1A, und ein tolles Welcome-Paket gibt es auch. Aber nur bis Ende der Woche. Wer könnte da widerstehen?
  • Der Kunde, nennen wir ihn K3, hat den Anbieter längst vergessen. Wertschätzungsaktivitäten, um Loyalität zu entfachen, gab es nie. Da er ein C-Kunde ist, gab es auch keine Betreuung. Viel zu teuer sei das, hat er mal beiläufig von einem Mitarbeiter des Unternehmens gehört. Nun ist eine Neuanschaffung dran. Er begibt sich ins Web, findet dort Interessantes und kauft. Damit ist er für den ursprünglichen Anbieter erst mal verloren. Es sei denn, der zweite Anbieter bringt‘s auch nicht. Kunde C wäre für einen Rückholversuch offen. Doch es passiert einfach nichts.

Schon allein diese kleinen Szenarien zeigen, dass ein ABC-Raster nichts taugt. Und es gibt weitere Gründe. Der Umsatz kann jedenfalls nicht die richtige Messgröße sein.

Welche Messgrößen den Kundenwert determinieren

Der Umsatz als Messgröße für den Kundenwert? Selbst dann, wenn er hoch ist, kann er negative Deckungsbeiträge erzeugen. Man pflegt also Kunden, mit denen man Verluste macht. Auch der Deckungsbeitrag allein ist keine überzeugende Größe. „Weiche“ Aspekte spielen genauso eine wichtige Rolle. Denn Bestandskunden haben nicht nur einen monetären, sondern auch einen ideellen Wert. Deshalb muss die Messung der Beziehungsqualität so wichtig sein wie die Messung der Profitabilität.

Zudem kann es in Zeiten von Social Media und Co. äußerst wertvoll sein, sich verstärkt um solche Bestandskunden zu kümmern, die eine Signalwirkung im Markt haben und als Weiterempfehler, Influencer, Multiplikatoren und Meinungsführer agieren.

Um all das zu berücksichtigen, bieten sich insgesamt folgende Kriterien an:

  • Die Kaufhistorie: Wie viel hat der Kunde mit welchem Umsatz gekauft?
  • Die Kauffrequenz: Wie oft kauft er, und wann kam sein letzter Auftrag?
  • Der Deckungsbeitrag: Wie profitabel ist der Kunde?
  • Der Imagefaktor: Können wir uns mit diesem Kunden schmücken?
  • Der Empfehlungswert: Ist dieser Kunde ein wertvoller Empfehler?
  • Die Zukunftsperspektive: Gehört er einer Wachstumsbranche an?
  • Die Preissensibilität: Verhandelt der Kunde ständig „bis aufs Messer“?
  • Der Schnäppchenfaktor: Kauft er nur wenig rentable Schnäppchen?
  • Die Zahlungsmentalität: Zahlt er pünktlich und ohne Beanstandungen?
  • Die Bonität: Wie steht es um seine zukünftige Zahlungsfähigkeit?
  • Der Betreuungsaufwand: Wie anspruchsvoll ist der Kunde?
  • Der Sympathiefaktor: Ist der Kunde angenehm und gern gesehen?
  • Das Beschwerdeverhalten: Reklamiert der Kunde häufig und hart?

Aus diesen und weiteren für Ihr Unternehmen relevanten Kriterien lässt sich eine Bewertungsmatrix erstellen. So wüsste man dann endlich auch ganz genau, welche schlechten Kunden man besser der Konkurrenz überlässt.

* Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Zusammen mit Norbert Schuster hat Anne M. Schüller das Buch „Marketing-Automation für Bestandskunden: Up-Selling, Cross-Selling, Empfehlungsmarketing, Mehr Umsatz mit der Wasserlochstrategie“ geschrieben.

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