Plattform-Ökonomie „Die Plattform bedeutet einen kompletten Geschäftsmodellwandel“
Dr. Holger Schmidt bezeichnet sich selbst als „Digital Economist“. Im Interview erklärt er uns, mit welchen Themen er sich auseinandersetzt. Wir sprechen außerdem über die Plattform-Ökonomie und darüber, was diese für Unternehmen, deren Geschäftsmodell und ihre Kommunikation bedeutet.
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Ihre Berufsbezeichnung lautet „Digital Economist“. Was genau kann man sich darunter vorstellen?
Tatsächlich handelt es sich dabei um einen Kunstbegriff, den ich mir ausgedacht habe, als ich eine passende Berufsbezeichnung für mich gesucht habe. Ich habe die beiden Themen, mit denen ich mich am meisten beschäftige – Digitalisierung und Ökonomie – in einem englischen Begriff zusammengefasst. Ich denke, die Bezeichnung umschreibt ganz gut, was ich tue.
Ursprünglich habe ich Volkswirtschaftslehre studiert gemacht und interessiere mich deshalb sehr dafür, wie sich beispielsweise die Wertschöpfung verlagert und was das für die Volkswirtschaft bedeutet. Und hier passiert ja gerade sehr viel in einem sehr hohen Tempo.
Absolut. Vor allem wenn man Richtung China oder USA, oder auch auf Start-Ups blickt, die Dinge sehr schnell entwickeln können.
Sie beschäftigen sich stark mit der Plattform-Ökonomie. Was verstehen Sie unter einer Plattform?
Eine Plattform ist ein Unternehmen, das nicht mehr zwingend ein Produkt herstellt, sondern die Interaktion zwischen externen Anbietern und externen Nachfragern managt, ein Interaktionsprovider sozusagen. Es geht darum, Anbietern dabei zu helfen, Nachfrager zu finden. Momentan wird sehr viel investiert, um dieses Matching zwischen Anbietern und Nachfragern so einfach wie möglich zu gestalten. Künstliche Intelligenz und Daten spielen hierbei eine große Rolle und können beispielsweise dabei helfen, vorherzusagen, was vielleicht künftig nachgefragt wird.
Auch die Änderung des Geschäftsmodells spielt hier natürlich eine wichtige Rolle. Wie schafft man es, diesen Plattformmarkt zu nutzen und den Vorsprung der anderen nicht zu groß werden zu lassen?
Für was müssen sich Kommunikationsverantwortliche aus der Industrie zukünftig wappnen? Haben Sie Tipps, die Sie ihnen mit auf den Weg geben können?
Ich denke ihr Job wird sich stark wandeln. Während die Kommunikationsverantwortlichen bisher vor allem für die Kommunikation mit dem Kunden zuständig waren und dafür, den Kunden bestmöglich zu erreichen, müssen bei Plattformunternehmen zwei Seiten betrachtet werden: Die externen Nachfrager und die externen Anbieter. Ein Plattformunternehmen muss viel breiter und in beide Richtungen kommunizieren. B2C-Unternehmen können das mittlerweile ganz gut, im B2B-Bereich muss diese Kommunikation erst noch erlernt werden. Bei Plattformen hat man mit Unternehmen aus ganz anderen Branchen zu tun, die man bisher überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. Und deshalb muss man beginnen, sich breiter aufzustellen und in andere Richtungen zu kommunizieren. Beispielsweise könnte eine Versicherung ein Ökosystempartner für einen Maschinenbauer sein.
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Sollten Marketer also eine Stakeholder-Kommunikation aufbauen?
Man muss über die klassischen Stakeholder hinausgehen – denn zu diesen habe sie bereits eine Beziehung. Im Moment bilden sich komplett neue Allianzen von Unternehmen, die vorher nie etwas miteinander zu tun hatten und jetzt versuchen, zusammenzuarbeiten – das ist das Neue an der Plattform. Ein schönes Beispiel hierfür bieten Airbnb und Tesla. Auf den ersten Blick haben die beiden Unternehmen überhaupt nichts miteinander zu tun. Airbnb bietet nun aber seinen Gastgebern an, sich von Tesla eine Ladesäule vors Haus stellen zu lassen. Damit wird der Wert des Hauses für Gäste erhöht und Tesla wird es erleichtert, mit ihren Ladesäulen in Wohngebiete zu kommen, was bisher eher schwierig war, da keiner der Anwohner freiwillig ein Stück ihrer Parkplätze abgeben wollte. Wenn ein Airbnb-Host dadurch allerdings seine Vermietungschancen erhöhen kann, macht er das gerne. Dieser Fall zeigt, dass in der Plattformökonomie Partner zusammenfinden, die in ganz unterschiedlichen Bereichen angesiedelt sind. Das erfordert natürlich auch immer ein hohes Maß an Fantasie und Überzeugungskraft. Denn die Ökosystempartner müssen erst davon überzeugt werden, dass es sich um ein gutes „Match“ handelt und dass die Zusammenarbeit gut passen könnte. Das bedeutet auch, dass man über die bisherige Zielgruppe und das klassische Klientel hinausgehen und sich mit anderen Leuten unterschiedlicher Branchen vernetzen muss.
Bedeutet das auch, dass intern mit mehr Abteilungen kommuniziert werden muss als bisher? Vielleicht findet ja beispielsweise auch ein Produkthersteller anstelle des Kommunikationsverantwortlichen heraus, wer ein guter Partner wäre.
Das stimmt, man muss das Unternehmen breiter aufstellen. Die Plattform bedeutet einen kompletten Geschäftsmodellwandel – deswegen fällt es vielen Unternehmen auch schwer, sich damit auseinanderzusetzen. Marketer wollen das vielleicht nicht hören, ich denke aber, dass ihre Bedeutung eher sinken wird. Wenn die Plattform funktioniert, muss ich keinen Kunden mehr überzeugen, etwas zu kaufen – die Kunden kommen dann automatisch.
Amazon ist ein gutes Beispiel. Für ein Unternehmen dieser Größe wird relativ überschaubares Marketing betrieben – jeder weiß auch ohne Werbung und Marketing: dort bekommt man alle Produkte schnell und meistens auch günstig. In der Wachstumsphase, in der die Plattform aufgebaut wird, muss man natürlich mit Marketingmaßnahmen nachhelfen, um Anbieter und Nachfrager auf die Plattform zu bekommen. Ist diese erste Hürde aber erst einmal überwunden, funktioniert im besten Fall alles automatisch.
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Viele Marketer haben sich mit dem Thema Plattformen noch nicht auseinandergesetzt. Halten Sie das für riskant?
Ich kenne ganz wenige Branchen, für die Plattformen völlig irrelevant sind. Selbst wenn sie es heute noch nicht sind, wird sich das in den meisten Fällen ändern. Sich dieses strategische Geschäftsmodell nicht genauer anzusehen, halte ich für fahrlässig. Natürlich eignet es sich nicht für alle Unternehmen, beispielsweise wenn man immer nur eine Handvoll Kunden hat, an die Produkte verkauft werden sollen – da gäbe es keine oder nur marginale Netzwerkeffekte. Für die meisten Unternehmen lohnt sich das Geschäftsmodell jedoch, um neue Kunden zu generieren. Dabei ist es auch gar nicht zwingend nötig, eine eigene Plattform aufzubauen – es gibt auch die Möglichkeit, Akteur auf einer fremden Plattform zu werden. Das sieht man beispielsweise an der Vielzahl an chinesischen Händlern, die sich auf Amazon tummeln.
Viele deutsche Mittelständler, beispielsweise aus dem Maschinenbau, sind da noch sehr konservativ und setzen nach wie vor auf Messen als Absatzweg. „Google Advertising – machen wir nicht!“. Das kann man aber nur machen, so lange man ein überlegenes Produkt hat. Diesen Vorsprung kann man aber nicht auf Dauer halten, wenn andere Maschinenhersteller beispielsweise damit beginnen, ihre Maschinen mit Daten aufzuwerten und bessere Vorhersagen machen. Die Phase, in der wir uns entspannt zurücklehnen konnten, ist vorbei. Das merken zum Beispiel die Automobilhersteller im Moment sehr deutlich. Gefühlt gibt es jede Woche einen neuen Hersteller, der in der Lage ist, Elektroautos zu bauen – von den meisten Herstellern hat man noch nie etwas gehört. Hier muss man aufpassen, nicht den Anschluss zu verlieren und mit Energie nach vorne blicken.
Wir merken, dass das Interesse an Plattformökonomie auf dem deutschen Markt seit ein bis zwei Jahren sprunghaft ansteigt. Über das Interesse allein ist es allerdings noch schwierig, ein Produkt zu launchen. Eine Plattform ist ein komplexes Modell, bei dem man viele Fehler machen kann. Vom Interesse bis zur Umsetzung warten also einige Hürden, an denen viele scheitern. Eine Plattform ist weder ein Selbstläufer noch ein sicheres Modell. Auch Amazon ist damals eine riskante Milliardenwette eingegangen und konnte nicht wissen, ob das Modell jemals funktionieren wird. Die Relevanz des Themas ist aber meiner Meinung nach verstanden.
Vielen Dank für das Gespräch!
* Das Interview wurde auf dem Tag der Industriekommunikation durchgeführt.
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