Recruiting ist Chefsache! Warum die Führungskraft – und nicht HR – hier in der Pflicht steht
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Vier Dinge entscheiden über die Krisenfestigkeit von Unternehmen: Kriegskasse, Werte, Substanz der Belegschaft und wie gut es die Führung schafft, eine starke Gemeinschaft daraus zu formen. In diesem Beitrag geht es um die Substanz.

Steve Jobs rekrutierte über 1000 Mitarbeiter höchstpersönlich. Natürlich ist nicht jeder ein Steve Jobs und ab einer gewissen Unternehmensgröße gibt es gute Gründe, die Verantwortung an HR und die fachlichen Vorgesetzten zu übergeben und sich selbst lediglich ein Vetorecht vorzubehalten. Doch diese Übergabe hat es in sich: Reinhard K. Sprenger bezeichnet nicht ohne Grund die Personalauswahl als die wichtigste Führungsaufgabe überhaupt.
Die Gefahr:
In der Praxis fehlt regelmäßig das Bewusstsein für die Tragweite dieser Aufgabe. Die Folge sind vergraulte Talente, Imageverlust und Fehlbesetzungen, die die Kosten treiben und die Wettbewerbsfähigkeit gefährden. Laut Karrierepapst Jürgen Schrader und dem Nachrichtenmagazin Spiegel wird im Schnitt jedes vierte bis fünfte Mal danebengegriffen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, die sich zeigt, wenn der Betrieb oder der Mitarbeiter schon im ersten Jahr die Reißleine ziehen. Unter dem Radar bleibt es, wenn Letzterer den Kopf einzieht und sich „durchfüttern“ lässt.
Eine häufige Fehlerquelle:
der Verführung der spontanen Entscheidung zu erliegen. Einmal scharf hingeschaut und schon erkennt der Profi den geeigneten Kandidaten? Von wegen! Und doch erzählt Trigema-Chef Wolfgang Grupp bei einem Vortrag vor über 700 Zuhörern, wie das in Burladingen so läuft: „Ich komme in den Raum, sehe fünf Leute und weiß sofort: den einen, den will ich! Jetzt muss ich noch mit den anderen Vieren Gespräche führen, um dann endlich den nehmen zu dürfen, den ich von Anfang an wollte.“ Das Credo hinter seinen Worten: Meine Meinung als Chef steht, stör mich bitte nicht mit Fakten! Erleichtertes Nicken und Grinsen auf den Rängen: „Genauso mach ich‘s auch!“ Auf schmerzliche Weise folgt dem guten Gefühl oft die Ernüchterung auf dem Fuße. Denn Fehler bei der Personalauswahl können durch spätere Qualifizierung nicht kompensiert werden: Eine „Gurkentruppe“ bringt auch der beste Trainer nicht in die Champions-League.
Wer im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter mitspielen will, muss sauber rekrutieren:
Ein professioneller Auswahlprozess ist nicht nur aus Kostengründen wichtig. Er verbessert das Arbeitgeberimage, ermöglicht eine strategische Teamentwicklung, bindet Mitarbeiter und bewahrt in Zeiten des Fachkräftemangels Zugang zu den besten Talenten. Darüber hinaus erhöht er die Zufriedenheit und die Effektivität der Belegschaft, senkt dadurch die Krankenkosten, verbessert die Innovationskraft und sichert die Überlebensfähigkeit des Unternehmens. Zudem gilt: Wer billig rekrutiert, rekrutiert zweimal – wenn nicht noch öfter.
Das belastet die Mitarbeiter. Wie sollen diese effizient arbeiten, wenn das Personalkarussell durchdreht und immer wieder improvisiert werden muss? Wenn ständig neue Mitarbeiter eingearbeitet werden müssen, die dann wieder gehen, ist das kräftezehrend und frustrierend. Unnötige Bewegung und Mitarbeiter, die fehl am Platz sind, stoßen gruppendynamische Prozesse an, bringen Unruhe ins Team und ziehen Energie vom eigentlichen Ziel ab, sie vertreiben Kunden und gute Mitarbeiter.
Problembewusstsein und Kompetenz entwickeln:
Rekrutieren Unternehmen schlecht, schieben die Verantwortlichen die Schuld oft den Umständen oder dem Mitarbeiter in die Schuhe. Das ist menschlich. Aber nicht professionell. Und unnötig, denn die Eignungsdiagnostik weiß längst, worauf es bei einem guten Recruiting ankommt: Das Problembewusstsein und die Kompetenz der entscheidenden Akteure. Meist werden zwar die Mitarbeiter aus dem Personalwesen geschult, aber nicht die Führungskräfte. Selbst in großen Unternehmen und bei Branchenführern kennen Führungskräfte regelmäßig nicht einmal das kleine 1 mal 1 erfolgreichen Recruitings und versuchen sich auf ihre Positionsautorität zu berufen. 90 % sind noch dazu der Meinung, diesbezüglich echte Naturtalente zu sein, obwohl sowohl die Erfahrung als auch wissenschaftliche Untersuchungen klar das Gegenteil belegen.
In fünf Schritten vom Anforderungsprofil zu den richtigen Fragen
Nun gilt es, die erforderliche Kompetenz und Professionalität zu entwickeln. Dabei kommt es auf fünf Punkte an:
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1. Anforderungsprofil erstellen
Wer nicht weiß, was er will, kann es auch nicht bekommen. Besonders wichtig ist das, wenn Stellen regelmäßig besetzt werden oder sich strategisch neu ausgerichtet wird. Erstellen Sie also im ersten Schritt ein Anforderungsprofil. Das gelingt am besten, wenn sich HR, der Vorgesetzte und zwei Mitarbeiter aus der Fläche zusammensetzen und die „Critical Incidents“ erheben. Jene Ereignisse, deren gute oder schlechte Bewältigung darüber entscheiden, ob eine Stelle erfolgreich oder nicht gut besetzt ist. Mit überschaubarem Aufwand hat man so schon fast alles, um später eine saubere Auswahl treffen zu können.
2. Die richtigen Fragearten und Fragen verwenden
Aber nur fast: Wer erfolgreich interviewen will, muss die richtigen Fragen stellen. Jeder Bewerber, dem es halbwegs ernst ist, kennt die Lehrbuch-Antworten auf Klassiker wie „Erzählen Sie mal was von sich“ oder „Warum haben Sie sich bei uns beworben?“. Ein weiterer Fallstrick: Die Standardfragen zielen regelmäßig am Anforderungsprofil vorbei. Auch hier ist bekannt, was wirklich funktioniert: situative und biografische Fragen und Rückfragen nach dem STAR Prinzip. Ihre Fragen sollten Sie aber bitte nicht alle in einer Interviewrunde stellen. Anstelle von aus der Hüfte geschossenen erstbesten Entscheidungen, sollten Sie den Bewerber mindestens 3-mal sehen, bevor Sie zu- oder absagen.
3. Strukturiert interviewen
Hilfreich ist ein strukturierter Interviewleitfaden. Er stellt sicher, dass jedem Bewerber die gleichen Fragen gestellt werden. Neben anderen Vorteilen reduziert das auch die Wahrscheinlichkeit, dass zu 80 % die Führungskraft redet, um ihrem Wunschbewerber das Unternehmen zu verkaufen. Im Recruiting gilt: Die besten Ergebnisse erzielen Sie, wenn die Redeanteile ausgeglichen sind. Genauso wichtig: Interviewen Sie den Bewerber mindestens zu zweit, wer allein ins Gespräch geht, kann genauso gut zur Münze greifen. Was Sie dagegen allein treffen sollten, ist die Entscheidung nach dem Interview. Halten Sie das Ergebnis schriftlich fest und tauschen Sie sich erst dann mit dem oder den Kollegen aus.
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4. Fehlerquellen ausschalten
Sie müssen die Hindernisse, die einer erfolgreichen Auswahl im Wege stehen, kennen. Es gibt rund zwei Dutzend solcher Saboteure, zum Beispiel die bei Grupp beschriebene – oder den Ähnlichkeitsbias, bei dem Schmidt am liebsten Schmidtchen einstellt. Ebenfalls beliebt: Der Erwartungsanker, bei dem Bewerber mit dem früheren Stelleninhaber verglichen werden. Dass dieser in der Rückschau idealisiert wird, und dass dabei nur selten die wirklich relevanten Kompetenzen getroffen werden, macht das Vorgehen nicht ungefährlicher. Bevor der falsche Eindruck entsteht: Die Intuition der Führungskraft kann und soll bei der Auswahl nicht außen vorgelassen werden. Wenn sich Ihr Bauchgefühl warnend meldet, dann sollten Sie das unbedingt weiterhin beherzigen. Wovor Sie sich aber hüten müssen, ist eine voreilige Entscheidung auf Basis eines verführerischen ersten Eindrucks oder anderer Heuristiken.
5. Probezeit nutzen
Eigentlich könnte an diesem Punkt ein Haken hinter die Einstellung gesetzt werden, würde nicht noch der letzte Schritt zur erfolgreichen Auswahl fehlen. Ferdinand Piëch kannte diesen: „Ob jemand wirklich für eine Tätigkeit taugt, kann man erst entscheiden, wenn er den Job tatsächlich verrichtet.“ Also halten Sie die Augen, Ohren und vor allem die abschließende Entscheidung offen, bis die Probezeit vorbei ist und legen Sie sich erst dann fest.
Fazit:
Da die Führungskraft das Gesicht des Unternehmens zum Bewerber ist und da sie die Entscheidung trifft, stellt ihre Kompetenz den zentralen Engpass für die Qualität im Recruiting dar. Personalgewinnung ist und bleibt also Chefsache. Führungskräfte, die sich dieser Verantwortung nicht stellen, handeln fahrlässig.
*Christian Bernhardt ist Dozent für nonverbale Kommunikation und Kommunikationspsychologie.
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