Strategie Warum Digitale Transformation beim Produkt beginnt

Von Viviane Krauss Lesedauer: 7 min |

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Ist es ausreichend, Prozesse zu digitalisieren, um die Effizienz in Unternehmen zu steigern? Oder besteht die eigentliche – viel größere – Chance darin, Produkte zu digitalisieren und völlig neue Wert- und Leistungsversprechen zu schaffen? Warum Unternehmen nicht nur sich selbst sondern auch ihre Produkte transformieren sollten.

Wenn ein produzierendes Unternehmen vom Produkt zur Neuentwicklung eines Geschäftsmodell geführt wird, kann es seinen eigen Weg in die Zukunft finden.
Wenn ein produzierendes Unternehmen vom Produkt zur Neuentwicklung eines Geschäftsmodell geführt wird, kann es seinen eigen Weg in die Zukunft finden.
(Bild: gemeinfrei / Unsplash)

Bei der digitalen Technologie ändert sich nicht nur die Art und Weise, wie Unternehmen Produkte herstellen, sondern auch die Produkte selbst. Heute kann es keinen Zweifel mehr daran geben, dass wir bereits in eine neue Ära von Produkten eingetreten sind – und es handelt sich um eine Ära von intelligenten und vernetzten Produkten. Produkte, die über eingebettete Sensorfunktionen, Software, Konnektivität und sogar AI verfügen. Diese Ära wird für Unternehmen und ihre Kunden wahrscheinlich außergewöhnliche Chancen bieten. Bisher ergreifen jedoch nur wenige Unternehmen diese Chancen. Die meisten Unternehmen halten an ihren proprietären Methoden der Herstellung, des Vertriebs und der Verwendung von Produkten fest und verpassen damit das enorme Potenzial, das neue digitale Technologien bieten können.

Produkte wie Autos, Geräte, schwere und industrielle Maschinen sowie Softwareprodukte werden sich in naher Zukunft nicht mehr durch statische Produktmerkmale unterscheiden. Stattdessen werden Hersteller diese Geräte so gestalten, dass sie hoch personalisierte Erlebnisse bieten, basierend auf digitalen und anderen Diensten, die an die Bedürfnisse eines einzelnen Kunden angepasst werden können. Aber was bedeutet das für die Hersteller-Seite? Für welche Änderungen sollten sie sich vorbereiten? Und wie könnten sie diese Veränderungen nutzen, um ihr gesamtes Unternehmen neu zu erfinden?

Der Fokus der Digitalisierung verlagert sich

Was genau bedeutet diese Art neuer Produkte für die Industrie? Einfach ausgedrückt ist das ein großer Schritt in Richtung Digitalisierung – und auch in der Art und Weise, wie Unternehmen über Produkte grundsätzlich nachdenken, diese entwerfen, herstellen und verkaufen. Bisher lag der Fokus der Digitalisierung in allen Branchen auf einer Optimierung und Effizienzsteigerung des Front- und Back-Office-Betriebs – in Bereichen wie Marketing und Vertrieb oder Planung, Beschaffung, Finanzen und Personal und IT. Dieser Fokus verlagert sich jedoch. Das liegt daran, dass das Internet der Dinge, Sensoren, Edge Computing und die Cloud es Ingenieuren ermöglicht, Rechenleistung, Konnektivität und Software in nahezu jedes Hardwareprodukt zu integrieren. Dies wiederum ermöglicht die Entwicklung hyper-personalisierter Produkterlebnisse und As-a-Service-Angebote, die alle auf digitalen Technologien basieren.

Der entscheidende Vorteil: Hersteller können alte Vorgehensweisen hinter sich lassen und alle Vorzüge der Digitalisierung für sich nutzen. Durch die Kombination digitalisierter und industrieller Prozesse mit smarten Produkten und Dienstleistungen können Unternehmen nicht nur ihre Effizienz verbessern, sondern sich auch immer wieder neu erfinden, um neue Wachstumschancen und Erlösquellen zu erschließen.

Ein gutes Beispiel ist die Automobilindustrie, die durch einige dieser Veränderungen bereits eine Phase der Disruption durchlaufen hat beziehungsweise sich mitten in dieser Phase befindet. Der Aufstieg vernetzter, elektrifizierter Fahrzeuge und neuer Angebote wie „Mobilitätsdienste“ – beispielsweise digital gesteuertes Carsharing und Ride-Hailing – hat die Automobilindustrie bereits massiv verändert und die Schaffung dieser neuen Möglichkeiten, bringen OEMs in die Situation, ihre Arbeitsweise zu überprüfen, zu überarbeiten und neu zu erfinden. Weitere Veränderungen sind bereits am Horizont sichtbar und werden hervorgerufen durch künstlichen Intelligenz, die beispielsweise die Personalisierung klassischer und natürlich auch autonomer Autos ermöglicht.

Die 4 entscheidendsten Veränderungen

Andere Branchen werden bald etwas ganz Ähnliches erleben. Das liegt daran, dass die Veränderungen, die sich derzeit in der Automobilindustrie abzeichnen, auch in Sektoren wie Luft- und Raumfahrt oder Verteidigung, bei Konsum-, Schwer- oder Industriegütern Einzug halten werden.

  • 1. Produkte werden mit immer mehr Software, einschließlich Algorithmen und KI, eingebettet. Bis zu 90 Prozent des Wertes eines typischen Produkts werden letztendlich von seiner Software und seinen digitalen Komponenten abhängen und nicht von seinen mechanischen Komponenten – wie beispielsweise bei „intelligenten Lautsprecher“ von Amazon, Google und anderen.
  • 2. Hersteller werden intelligente vernetzte Produkte in Trägersysteme für Dienstleistungen verwandeln, basierend auf der operativen Agilität und Anpassungsfähigkeit dieser neuen Geräteklasse.
  • 3. Hardwarekäufer werden sich nicht mehr mit Produkten mit statischen Funktionsprofilen zufrieden geben. Stattdessen erwarten sie "intelligente" und vernetzte Produkte, die flexibel genug sind, um hoch personalisierte und geräteübergreifende Erfahrungen zu ermöglichen, die genau ihren Bedürfnissen entsprechen.
  • 4. Viele Produkte werden zu Plattformen ausgebaut, die entweder als zentrale Anker in breiteren Geschäftsökosystemen oder als untergeordnete Komponenten eines Plattformökosystems dienen – zum Beispiel Autos, die zu Plattformen für digitale Dienste wie Navigation, Musik-Streaming, Reisen und Produktivität werden.

Der Übergang vom „Verkaufen“ zum „Managen“

Aber es sind nicht nur die Produkte selbst und die Art und Weise, wie sie hergestellt werden, die sich ändern werden – es ist auch die Beziehung, die die Hersteller zu den Dingen haben, die sie kreieren. Da Produkte über eine Reihe digitaler Technologien, die günstig und leicht zu bedienen sind und sich somit konstant weiter verbreiten, zunehmend intelligent und vernetzt werden, können Unternehmen diese nicht mehr einfach nur verkaufen und sich anschließend zurücklehnen. Stattdessen müssen sie den Fernkontakt und einen permanenten Austausch von Daten, Dienstleistungen, Over-the-Air-Updates und Upgrades mit der „installierten Basis“ ihrer Produkte vor Ort pflegen (wiederum genau wie Softwareunternehmen) – und auf diese Weise zum „Manager“ der Erfahrungen mit diesen Produkten werden.

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Dieser Rollenwechsel führt zu einer Reihe von damit verbundenen Verschiebungen. Die Hersteller müssen die Fähigkeiten aufbauen, die für diese Art von „umsorgender“ Arbeit erforderlich sind. Sie müssen darüber nachdenken, wie sie für diese spezielle Dienstleistung eine Vergütung erhalten können. Und sie müssen Strategien entwickeln, wie sie die Erkenntnisse dieser Bemühungen nutzen können, um entweder ihre bestehenden Produkte und Dienstleistungen zu verbessern oder neue zu entwickeln.

All dies wird natürlich viel Arbeit erfordern (und die Hersteller sollten sich darauf vorbereiten). Aber es wird ihnen auch ermöglichen, Strategien zu verfolgen, die bis vor kurzem nur dem Software- oder Verbraucher-Internetbetrieb zur Verfügung standen. Darunter der Aufbau besserer Kundenbeziehungen, zum Beispiel durch den Verkauf von Dienstleistungsangeboten, um das Wachstum voranzutreiben, die Monetarisierung des „Datenausstoßes“ (gemeint sind die Daten, die sie schon immer hatten, aber nicht nutzten) oder der Aufbau von Plattformunternehmen – all das kann viel höhere Wachstumsraten und Gewinne bringen als der reine Verkauf von Produkten.

Wie können sich Hersteller vorbereiten?

Wie also sollten die Hersteller mit diesen Herausforderungen umgehen und die notwendigen Veränderungen vornehmen, damit sie alle diese Chancen nutzen können? Wie können sie, anders ausgedrückt, von dem alten, nahezu ausschließlich fertigenden und verkaufenden Geschäftsmodell, zum Neuen übergehen?

Die kurze Antwort darauf lautet: Es gibt eine Reihe von Schritten, die Unternehmen gehen sollten. Diese haben sich bei Firmen bewährt, die bereits eine eigene, produktgesteuerte digitale Transformation gestartet haben.

Es beginnt mit der Gestaltung einer klaren Vision und Produktstrategie um den Wert, den ein Unternehmen schaffen will. Sobald dies erledigt ist, kann sich das Unternehmen auf die Digitalisierung seiner bestehenden Kerngeschäftsprozesse konzentrieren, um eine höhere betriebliche Effizienz zu erreichen. So wird ein Ansatzpunkt für das „Neue“ geschaffen – wenn sich beispielsweise das Geschäft vom Produktverkauf zu Dienstleistungen verlagert. Wenn das neue Unternehmen wächst, müssen die Verantwortlichen sicherstellen, dass das Unternehmen auch sein Ökosystem und seine Partnerschaften – die fast immer ein Schlüsselfaktor für digitale Strategien sind – erweitert und sicherstellen, dass die Partner- und Kundenerfahrung mit der Unternehmensausrichtung übereinstimmen. Sobald diese Schritte unternommen wurden, können Führungskräfte damit beginnen, den Wandel zu vollziehen, indem sie behutsam von den alten Geschäftsmethoden zu neuen wechseln.

Best Practices auf die Praxis übertragen

Alle diese konzeptionellen Schritte sind natürlich sehr unternehmensspezifisch. Der Weg dorthin ist von Firma zu Firma unterschiedlich. Aber es gibt ein paar Best Practices, die jede Art von Fertigungsunternehmen nutzen kann. Einer dieser bewährten Schritte betrifft den Aufbau der Schlüsselkompetenzen für die Produktneuerfindung, wie die effiziente Beherrschung des Datenmanagements, den Einsatz agiler, iterativer Ingenieurspraktiken oder die Fähigkeiten, die zum Management von Ökosystemen und Partnerschaften erforderlich sind. Dazu gehören Dinge wie der digitale Zwilling – die digitale Darstellung eines physischen Produkts – und digitale Darstellungen der Produktlebenszyklen.

Ein weiterer Schritt hat damit zu tun, diese Fähigkeiten in ein Unternehmen einzubringen. Viele Unternehmen sehen bereits große Erfolge bei der Schaffung einer geeigneten digitalen Servicefabrik – einer Art Produkt- und Erlebnis-Innovationszentrum, das alle erforderlichen interdisziplinären Kompetenzen bündelt und andere Geschäftsfelder mit neuen Produkten und Dienstleistungen versorgt. Aufsummiert bedeutet das, dass es zwar keine einheitliche Strategie gibt, um ein produzierendes Unternehmen vom Produkt bis zur Neuentwicklung des Geschäftsmodells zu führen, aber es sollte mehr als genug Impulse geben, damit ein Unternehmen diese Reise beginnen und dann seinen eigenen Weg in die Zukunft finden kann.

Beginnen Sie jetzt mit der Neuentwicklung von Produkten!

Die Neuerfindung von Produkten und schließlich eines ganzen Unternehmens ist keine leichte Aufgabe. Harvard Business School Professor Sunil Gupta hat es mit dem Austausch des Triebwerks eines Flugzeugs während des Fluges verglichen. Aber es ist eben auch eine Anstrengung, die es wert ist, unternommen zu werden. Die Forschung deutet darauf hin, dass die vollständige Digitalisierung unserer Geschäfte einen Wert von 100 Billionen US-Dollar für Gesellschaft und Wirtschaft schaffen könnte, von denen etwa zwei Drittel aus weiteren Digitalisierungsvorgängen und Kundenerfahrungen stammen werden. Und wie kann man dieses außerordentliche Potenzial besser und effizienter nutzen, als das Herzstück dieser beiden Dimensionen, nämlich die Produkte und die Art und Weise, wie sie Werte schaffen, neu zu erdenken und zu erfinden?

Wir haben alles Notwendige an der Hand, um unsere Vorstellung davon, was zu tun ist und wie wir es tun, neu zu erfinden. Also gehen wir es an – und zwar jetzt.

Interview zu Deutschlands Chancen

Kaum eine Entwicklung hat aktuell derart viel Einfluss auf die deutsche Industrie wie die Digitalisierung. Wir haben hierzu mit Frank Riemensperger, dem Deutschlandchef der Unternehmensberatung Accenture, gesprochen und ihn gefragt, wie es um Deutschlands Chancen im internationalen und immer digitaler werdenden Wettbewerb steht.

* Eric Schaeffer und David Sovie sind Senior Managing Director bei Accenture.

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