Interview – Digitale Geschäftsmodelle „Daten sind der neue 'Treibstoff' der Automobilindustrie“

Von Julia Krause Lesedauer: 6 min

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Schneller, größer, stärker. Das war viele Jahre lang das Credo der Automobilindustrie. Doch es zeichnet sich ab, dass die Käufer diesen Weg immer weniger mitgehen. Automobilhersteller müssen somit neue Einnahmequellen erschließen. Dazu zählen vor allem Geschäftsmodelle auf Basis von Daten.

Automobilfirmen müssen sich an neue Bedingungen anpassen und ihr Kerngeschäft als Fahrzeughersteller um ein reichhaltiges Angebot an Mobilitätsservices erweitern.
Automobilfirmen müssen sich an neue Bedingungen anpassen und ihr Kerngeschäft als Fahrzeughersteller um ein reichhaltiges Angebot an Mobilitätsservices erweitern.
(Bild: gemeinfrei / Unsplash)

Noch verdienen Automobilhersteller gutes Geld mit dem Verkauf von Fahrzeugen, vor allem schwergewichtigen und PS-starken SUVs. Doch das ändert sich. Die Automobilbranche steht vor einem gravierenden Wandel. Dazu tragen Trends bei wie die Elektromobilität und das autonome Fahren, aber auch gesellschaftliche Entwicklungen. So nutzen Reisende, Stadtbewohner und Pendler verstärkt Car-Sharing-Services und intelligente Mobility-Angebote.

Automobilfirmen müssen sich daher an diese neuen Bedingungen anpassen und ihr Kerngeschäft als Fahrzeughersteller um ein reichhaltiges Angebot an Mobilitätsservices erweitern, um in der Zukunft nicht nur ein reiner Hardwarehersteller zu sein. Doch das setzt voraus, dass sie zusammen mit Partnern neuartige, digitale Geschäftsmodelle und Ökosysteme schaffen, die Kunden einen Mehrwert bieten. Die Grundlage bilden Daten, die Kunden und Partner den Automobilunternehmen zur Verfügung stellen, so Yannick Engel, Innovation Director der Futurice GmbH.

Was muss eine Automobilfirma tun, um den Sprung zum Anbieter von "Mobility Services" zu schaffen?

Yannick Engel: Die größte Herausforderung besteht darin, dass sich die Hersteller von altbekannten Denkmustern lösen müssen. Die Firmen sind bislang auf das Produkt „Auto“ fixiert und haben alle Vorgänge an diese Produktentstehungsprozesse angepasst. Stattdessen sollten sie einen Ansatz entwickeln, der eine Kombination aus physischen und digitalen Angeboten ermöglicht. Solche müssen zudem auf die individuellen Anforderungen von Kunden zugeschnitten sein. Das setzt voraus, dass die On-Board-Systeme eines Fahrzeugs für unterschiedliche Nutzungsszenarien ausgelegt sind, etwa Car-Sharing-Modelle. Außerdem ist es notwendig, das „System Auto“ stärker für die Services von Drittanbietern zu öffnen. Angefangen hat dies mit SiriusXM oder den Mirror-Diensten der Telefon OS-Anbieter. In Zukunft werden solche Dienste aber immer tiefer in die automobile Wertschöpfung vordringen.

Wie lässt sich das umsetzen?

Indem Autohersteller und ihre Partner Softwareschnittstellen bereitstellen, also APIs. Hier sollten sie sorgfältig auswählen, mit wem sie eine Partnerschaft eingehen wollen und wie sie ihre Marke in diesem Netzwerk am besten nutzen können. Eine weitere Option sind Projekte wie Open Smart City API. Im Rahmen dieser Initiative machen Städte und Regionen ihre Daten und die entsprechenden Schnittstellen Dritten zugänglich. Dadurch erhalten Unternehmen und öffentliche Einrichtungen die Chance, neue Geschäftsmodelle und Services zu entwickeln sowie ihr existierendes Angebot zu verbessern.

Doch die Automobilindustrie bietet ja bereits Services an, beispielsweise über ihre Vertragswerkstätten oder Apps.

Das reicht nicht aus. Die Hersteller müssen vielmehr mehrstufige, modulare Strategien entwickeln, die auf indirekten, mehrseitigen Ertragsmodellen aufsetzen, nicht auf traditionellen Wartungsservices oder Add-Ons. Der Vorteil eines solchen vielschichtigen Ansatzes ist, dass er eine holistische Sichtweise fördert und den Aufbau eines neuen Ökosystems ermöglicht. Futurice schätzt, dass im Jahr 2030 rund 20 Prozent der Gewinne der Automobilhersteller aus datenorientierten Services stammen werden. Zusätzlich geht es für die Automobilfirmen darum, noch präsenter im Leben ihrer Kunden zu werden. Beispielsweise, indem sie digitale Services für tangierende Bereiche wie Energie, Lifestyle oder Versicherung anbieten.

Das heißt, Daten sind gewissermaßen der neue „Treibstoff“ der Automobilindustrie?

Ja, denn in diesem Bereich wird sich die Datennutzung in den kommenden zwei Jahren verdoppeln. Allerdings sind die Daten nicht nur „Antrieb“, sondern auch „Abgas“, da sie wiederum neue Erkenntnisse ermöglichen. Eine Folge ist, dass sich ein Autohersteller zu einem Unternehmen weiterentwickeln kann, das auf „Humanized Data“ beruht. Dies sind Informationen, die dem „normalen“ Mitarbeiter dabei helfen, neue Geschäftsideen zu entwickeln und Business-Entscheidungen zu treffen. Heute dagegen ist die Datenanalyse stark auf Data Scientists zugeschnitten und bleibt daher oft auch in diesen Domänen hängen.

Welche Ansätze gibt es denn, mit denen sich Daten in einen messbaren finanziellen Vorteil ummünzen lassen?

Es gibt drei Ansatzpunkte. Zum einen kann ein Unternehmen Geschäftsprozesse und die Entscheidungsfindung verbessern, wenn es verstärkt Daten mit einbezieht. Das wirkt sich in allen Unternehmensbereichen positiv aus, von der Entwicklungsabteilung bis zum Controlling und ist oft der direkteste Weg für einen ersten Vorteil. Eine zweite Option ist, mithilfe von Daten Produkte und Services zu verbessern, anzureichern oder neue Angebote zu entwickeln. Die dritte Möglichkeit besteht darin, Informationen an andere Firmen weiterzugeben. Wichtig ist, dass Unternehmen ein Verständnis für Daten und Nutzungsmodelle zu entwickeln. So lassen sich Informationen beispielsweise dazu nutzen, um proaktiv Probleme zu erkennen und zu lösen, ähnlich wie bei einem Modell, das Verkehrsstaus vorhersagt.

Doch wie kann ein Automobilunternehmen sicherstellen, dass es nicht das Vertrauen seiner Kunden aufs Spiel setzt, wenn es Nutzerdaten vermarktet?

Der Kunde muss einen klaren Mehrwert erhalten und erkennen, wenn er Daten zur Verfügung stellt. Nur dann ist er bereit, Informationen mit Herstellern zu teilen, wir bezeichnen das als „Willingness-to-share“ Das zeigen Beispiele wie Suchmaschinen und digitale Assistenten. Außerdem sollte für den Nutzer transparent sein, was mit den Informationen passiert. Hier existieren unterschiedlichste Formen, Unternehmen können dies auf spielerische Weise oder aber auch im Rahmen von weiterführenden nützlichen Informationen vermitteln. Das ist Voraussetzung, um ein Vertrauensverhältnis zum Kunden aufzubauen. Dieses Vertrauen ist im Zeitalter der „Personal Data Economy“ eminent wichtig. Ein vertrauenswürdiger Partner zu sein, gewinnt in Zeiten an Bedeutung, in denen Unternehmen und öffentliche Einrichtungen immer mehr Daten sammeln.

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Bringen denn die Kunden einem Automobilhersteller dieses Vertrauen entgegen?

Automobilfirmen haben trotz des Dieselskandals einen großen Vorteil: Kunden vertrauen ihnen mehr als beispielsweise einem Startup-Unternehmen. Das hängt damit zusammen, dass Autos etwas zum „Anfassen“ sind. Außerdem gelten Fahrzeuge als Meisterleistungen der Ingenieurkunst, mit denen man Emotionen verbindet. Dieses Vertrauen in ihre Marken sollten sich Hersteller und OEMs zunutze machen, um ein innovatives, datenbasiertes Ökosystem aufzubauen.

Was sollte ein Unternehmen tun, wenn es, vereinfacht gesagt, Daten zu Geld machen will?

Zunächst sollte ein Hersteller ein tragfähiges Netzwerk von relevanten Partnern aufbauen, um Synergien zu nutzen, ihre Marke klar zu positionieren und datenbasierte Angebote zu vermarkten. Es wäre allerdings fahrlässig, sich nur auf die direkte Monetarisierung von Daten zu beschränken. Mehr Erfolg verspricht eine differenzierte Strategie. Den Ausgangspunkt bilden Antworten auf Fragen wie „Welche Ziele verfolgen wir“, „wie wollen wir diese erreichen“ sowie „wie weit würden wir dafür gehen“. Dabei ist eines zu beachten: Vertrauen und Wertschöpfung sind die maßgeblichen Faktoren, an der sich eine Datenstrategie orientieren sollte. Ein Unternehmen muss wählen, welches Ziel es anstrebt. Es kann beispielsweise wie ein Data Broker auftreten und Daten schnell zu Geld machen, ohne den Kunden einen Mehrwert zu bieten. Dies ist eine kurzsichtige Strategie. Oder ein Automobilunternehmen baut eine Plattform von vertrauenswürdigen Partnern auf, die seinen Partnern, ihm selbst und seinen Kunden langfristig einen Nutzen bietet.

Welche Schritte würden Sie zudem einem Automobilunternehmen empfehlen?

Ein Hersteller muss zunächst entscheiden, wie er sich positionieren möchte, nach dem Motto „Welches Unternehmen wollen wir eigentlich sein?„. Darauf setzt die Datenstrategie auf. Zudem sollte allen Beteiligten klar sein, wie eng die Faktoren Vertrauen, Daten und Wertschöpfung miteinander verknüpft sind. Anschließend empfiehlt es sich, eine auf Daten bezogene Wertschöpfungskette aufzubauen. Dabei sollten sich alle Stakeholder fragen, warum und auf welche Weise sich eine solche Value Chain am besten einrichten lässt. Welche Elemente die Wertschöpfungskette umfasst, hängt von den verfügbaren Datenbeständen ab.

Ein Unternehmen sollte zudem kritisch prüfen, ob es überhaupt Sinn macht, zusätzliche Informationen zu sammeln. Ist unklar, ob ein entsprechendes Projekt Kunden einen Mehrwert bietet, sollte dies unterbleiben. Und ein letzter, aber wichtiger Punkt: Unternehmen müssen sicherstellen, dass Daten nicht verlorengehen oder in falsche Hände geraten. Denn dadurch verspielt ein Anbieter nicht nur das Vertrauen von Kunden und Partnern in die Marke. Er läuft zudem Gefahr, wegen Verstößen gegen Datenschutzgesetze und Compliance-Vorgaben zur Verantwortung gezogen zu werden.

Quelle: Futurice GmbH

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