Expertenbeitrag

 Gabriele Horcher

Gabriele Horcher

Inhaberin, Gabriele Horcher - Vortragsrednerin

Expertenbeitrag: B2B Kommunikation Wie Sie digitale Barrierefreiheit in der B2B Kommunikation einsetzen

Ein Gastbeitrag von Gabriele Horcher Lesedauer: 5 min |

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Im B2B Bereich sind Sie rein rechtlich nicht zu digitaler Barrierefreiheit verpflichtet. Aber die Frage ist, ob Sie die Zielgruppe mit dauerhafter, temporärer oder situationsbedingter Beeinträchtigung ausschließen wollen – als Kunden oder Mitarbeiter?

Viele Unternehmen haben in Bezug auf digitale Barrierefreiheit noch einen langen Weg vor sich.
Viele Unternehmen haben in Bezug auf digitale Barrierefreiheit noch einen langen Weg vor sich.
(Bild: frei lizenziert / Unsplash)

Wen betrifft das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (kurz BFSG) verpflichtet erstmals auch private Wirtschaftsakteure zu mehr digitaler Barrierefreiheit. Produkte und Dienstleistungen, die digital genutzt werden – zum Beispiel Computer und Smartphones, aber auch Telekommunikations- und Bankendienstleistungen –, müssen ab dem 29.06.2025 barrierefrei(er) sein. Doch nicht nur Hersteller, Importeure und Händler der Produkte oder Anbieter der Dienstleistungen sind betroffen: Alle Organisationen müssen – unter Umständen – Apps, Online Shops und Dokumente sowie Websites barrierefrei gestalten.

Wenden sich Ihre Produkte und Dienstleistungen, Online Shops, Webseiten, Apps, E-Books und Dokumente aber weder direkt noch indirekt an Verbraucher, dann sind Sie von dem Gesetz nicht betroffen. Denn das BFSG wurde zur Stärkung von Verbrauchern und Nutzern erlassen.

Trotzdem lohnt es sich, jetzt weiterzulesen – um ein Verständnis für das Thema digitale Barrierefreiheit zu entwickeln. Denn auch wenn Sie nicht gezwungen sind, das BFSG zu befolgen, können Sie auch in der Business-to-Business-Kommunikation und speziell in der Zusammenarbeit mit (potenziellen) Mitarbeitern durch mehr digitale Barrierefreiheit Wettbewerbsvorteile erzielen.

Wer profitiert von digitaler Barrierefreiheit?

Jeder Zweite in Deutschland würde von mehr digitaler Barrierefreiheit profitieren. Motorisch oder sensorisch behindert sind wir schon, sobald wir ein Kind auf dem Arm halten. Eine visuelle Beeinträchtigung bemerkt jeder, wenn Sonneneinstrahlung verhindert, dass wir auf dem Display alles gut erkennen können. Eine auditorische Behinderung kann bereits durch den Umgebungslärm eines Großraumbüros oder einer Baustelle entstehen. Kognitiv beeinträchtigt sind wir, wenn wir versuchen, Multitasking zu betreiben, oder wenn jemand zum Geburtstag einen Sekt ausgegeben hat. Situative Einschränkungen sind vielfältig und sie passieren jedem.

Zudem gibt es temporäre Behinderungen: wie zum Beispiel den Arm in Gips oder den Verband um den schmerzenden Finger. Vielleicht ist ein Auge verletzt oder wir haben gerade unsere Brille verlegt. Auch eine Ohrenentzündung, ein Hörsturz, Migräne oder Müdigkeit können uns bei der Bedienung von Apps, Online Shops, Webseiten, E-Books und digitalen Dokumenten beeinträchtigen.

Die Anzahl derer, die mit situativen und temporären Behinderungen zu kämpfen haben, lässt sich statistisch nicht erfassen. Zugleich liegt die Zahl derer, die permanent betroffen sind, aber höher, als man vielleicht denkt:

  • Es gibt in Deutschland etwa 10,4 Millionen Menschen mit einer dauerhaften Behinderung. 7,8 Millionen Menschen mit einer schweren und 2,6 Millionen mit einer leichten Behinderung. Das sind ca. 12,5 Prozent der Bevölkerung.
  • Und in einer stetig alternden Bevölkerung nimmt der Anteil der Menschen mit Beeinträchtigungen zu. 18,2 Millionen Menschen – fast 22 Prozent – sind über 65 Jahre alt.
  • Darüber hinaus sind rund 15 Prozent der Menschen, die in Deutschland leben, keine Muttersprachler. 4,1 Millionen Menschen in Deutschland sprechen zuhause gar kein Deutsch. Für weitere 8,2 Millionen ist Deutsch im Haushalt nicht die überwiegend gesprochene Sprache.
  • Hinzu kommen in Deutschland noch 6,2 Millionen Menschen, die nicht oder nur unzureichend lesen und schreiben können. Das sind 7,5 Prozent der Bevölkerung.

Zusammengefasst sind 47,1 Millionen Menschen betroffen. Sicher gibt es Schnittmengen der Betroffenen-Gruppen und damit in dieser Zahl eine gewisse Mehrfach-Erfassung. Dennoch lässt sich unterm Strich wohl sagen, dass jeder Zweite in Deutschland von digitaler Barrierefreiheit profitieren würde.

BFSG beschleunigt den Trend zu mehr digitaler Barrierefreiheit

Ziel des BFSG ist es, Menschen mit Behinderungen die digitale Teilhabe zu ermöglichen. Die gesetzlichen Anforderungen treffen Unternehmen, Verbände und Vereine, die sich an Verbraucher wenden. Sie müssen – bis auf Ausnahmen – Apps, Online Shops und Dokumente sowie Webseiten barrierefrei gestalten. Denn viele Organisationen nutzen bei der digitalen Kommunikation mit Verbrauchern Dienstleistungen der Telemedien, Bankdienstleistungen oder Leistungen des elektronischen Geschäftsverkehrs (E-Commerce). Damit werden sie – dem BFSG nach – zu Leistungserbringern gegenüber Verbrauchern.

Zum Leistungserbringer wird etwa, wer die Nutzung von Apps anbietet, über die Website oder den separaten Online Shop Produkte oder Dienstleistungen verkauft. Oder wenn Endnutzer sich auf der Webseite in einen Kundenbereich einloggen, über ein Help-Desk-System ein Support-Ticket eröffnen, online Termine vereinbaren, ein Kontaktformular ausfüllen, einen Chatbot oder einen Rückruf-Service nutzen oder über einen Spendenbutton spenden können.

Es werden sehr viele Organisationen durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz gezwungen sein, in der Kommunikation mit Verbrauchern, digital barrierefreier zu werden. Und da jeder von uns auch ein Verbraucher ist, wird sich digitale Barrierefreiheit – auch auf B2B Portalen –zum neuen Normal entwickeln.

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Was fördert die digitale Teilhabe?

Das BFSG fordert, dass zum Beispiel ein Online Shop für Menschen mit Beeinträchtigungen ohne besondere Erschwernis – und grundsätzlich ohne fremde Hilfe – auffindbar, zugänglich und nutzbar sein soll. Dazu muss das Angebot eines Online Shops über mehr als einen sensorischen Kanal zur Verfügung gestellt werden. Es reicht also nicht mehr aus, die Produkte und Dienstleistungen, die erworben werden können, nur als Text und Bild darzustellen, sondern die Inhalte müssen zum Beispiel auch über Sprachausgabe hörbar und damit auditiv wahrnehmbar sein.

Informationen über mehr als einen sensorischen Kanal bereitzustellen, ist nicht nur im Umgang mit Verbrauchern, sondern auch für die Kommunikation im B2B Bereich mit Kunden, Partnern und Investoren sowie in der Zusammenarbeit mit Mitarbeitern absolut sinnvoll.

Der Trend setzt heute schon an: B2B Unternehmen untertiteln Werbespots im Internet. In beruflich genutzten sozialen Netzwerken wie LinkedIn sind 85 Prozent der Videos untertitelt, weil die Lautsprecher am Computer meist ausgeschaltet sind und nicht jeder ständig Kopfhörer nutzt.

Digitale Barrierefreiheit ist sogar meist mit bestehenden Mitteln in der Kommunikation umsetzbar – dank KI-Unterstützung:

  • Text in Sprache umwandeln: zum Beispiel durch die automatische Erstellung von Audio-Dateien oder den Einsatz einer Vorlese-Funktion.
  • Sprache in Text umwandeln: durch Live-Untertitel bei Meetings, Closed Capitioning oder Untertitelung von Videos bis hin zur Nutzung eines Gebärdensprache-Avatars.
  • Alternative Bedienmethoden des Mauszeigers: mittels Spracheingabe oder Augensteuerung.
  • Texte in einfache Sprache umformulieren: durch generative KI.

Mit mehr digitaler Barrierefreiheit ermöglichen Sie Menschen mit Beeinträchtigungen nicht nur ein selbstbestimmteres Leben – Sie stärken gleichzeitig Ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Tipps zur Umsetzung

Abschließend noch ein paar Tipps, wie Sie Barrierefreiheit selbst einfach umsetzen können:

  • Bilden Sie eine übergeordnete Task Force: Finden Sie Ihre Stellung zur digitalen Barrierefreiheit.
  • Nutzen Sie Anbieter, deren Produkte und Dienstleistungen barrierefrei sind.
  • Nutzen Sie generative KI und weitere KI-Tools für die Umsetzung.
  • Wenn Sie Barrierefreiheit herstellen möchten, dann planen Sie die Umsetzung rechtzeitig. Denn ab Mitte 2024 – spätestens Anfang 2025 – wird es sehr schwer sein, bei Dienstleistern Kapazitäten zu buchen.

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