Virtuelle B2B Messen und Events „Der Erfolg der Maßnahmen muss gemessen werden“
Das Messe- und Eventgeschäft leidet unter der Coronakrise. Dass die Branche jedoch nicht stillsteht, zeigen die vielen digitalen sowie hybriden Alternativen, die sich in den letzten Wochen etabliert haben. Wir haben nachgefragt, wie B2B-Unternehmen damit umgehen. In diesem Teil: Carsten Sichler von thyssenkrupp.
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„Eine Messe ist keine Bauchgefühlsveranstaltung“ – Carsten Sichler weiß, auf was es im modernen Messemarketing ankommt. Für den Leiter der globalen Markenkommunikation und des Marketings bei der thyssenkrupp Industrial Solutions AG ist es essenziell, sinnvolle Kennzahlen für einen Messeauftritt zu schaffen und daran den Erfolg zu messen. Wie das möglich ist und welche Rolle Messen in Zeiten von Corona bei thyssenkrupp spielt, beantwortet er im Interview.
Carsten, Messen sind im B2B-Bereich nicht wegzudenken: Wie relevant sind Messeauftritte im gesamten Marketingmix von thyssenkrupp? Spiegelt sich das auch in den Budgets wider?
Messe-Aktivitäten sind für die meisten Geschäftsbereiche von thyssenkrupp nach wie vor sehr relevant. Für Vertriebsgespräche mit Kunden und Interessenten, Vorstellung neuer marktreifer Produkte oder auch Prototypen, um sehr direkt Feedback zu erhalten, dienen Messen als sinnvolle Plattform für uns. Generell erleben wir – schon vor der Coronakrise – eine sukzessive Reduzierung reiner Messebudgets in den letzten Jahren. Grunde hierfür lagen bis dato in der Tatsache, dass die Performance einer Messe nicht systematisch gemessen wurde. Dann wird häufig bei der nächsten Messe der Rotstift angesetzt und versucht, x Prozent einzusparen. Mit der letztjährigen bauma Messe in München, die für uns im Anlagenbau die Leitmesse darstellt, haben wir versucht, das zu ändern. Nun haben wir eine Datenbasis, auf der wir auch die nächste bauma Messe und auch im Transfer andere Messen hinsichtlich einzusetzendem Buget und konkreter Maßnahmen viel zielgerichteter planen können. Klar ist aber auch, Messe wird digitaler beziehungsweise digital verlängert, durch begleitende und ergänzende Maßnahmen im Online-Marketing. Im vergangenen Fiskaljahr haben wir einen extremen Budgetshift von nahezu null hin zu mehr als 70 Prozent in digitale Marketingaktivitäten vollzogen. Das zeigt sehr deutlich in welche Richtung sich die Maßnahmen entwickeln.
Aktuell werden auf Grund des Coronavirus zahlreiche Messen verschoben, teilweise sogar ganz abgesagt. Wie geht thyssenkrupp mit den Messeverschiebungen um?
Sehr pragmatisch! Es entsteht kein spezieller Nachteil für uns, da die Wettbewerber mit denselben Problemen zu kämpfen haben. Den Großteil unseres Geschäfts machen wir im Ausland, zum Beispiel in Asien. Hier ist der Stand der Einschränkungen durch Corona in den einzelnen Ländern stark unterschiedlich. Einige Länder laufen schon wieder an und man kann fast von einem Normalzustand sprechen, in anderen Ländern steht das Geschäft nahezu still.
Anstatt der vielen regionalen Messen, die nun aufgrund der Corona-Pandemie nicht stattfinden können, werden den Kunden nun, je nach Marktsituation, Alternativen angeboten. Das können Videokonferenzen, Webinare oder auch, da wo es schon möglich und sinnvoll ist, persönliche Termine sein.
Wie kompensiert ihr die fehlenden Leads? Welche digitalen Konzepte helfen euch in der heutigen Krisensituation?
Wir fokussieren uns mehr und mehr auf die digitale Leadgenerierung. Die Corona-Pandemie wirkt hier eher wie ein Beschleuniger, als dass sie zu gänzlich neuen Entwicklungen führt. Sie trägt aber zwangsläufig aufgrund der Alternativlosigkeit zur Akzeptanz neuer Kanäle und Formate bei – sowohl auf Unternehmens- als auch auf Kundenseite. In Russland beispielsweise werden in den kommenden Jahren große Geschäftspotenziale im Mining-Bereich vermutet. Da wir als thyssenkrupp im russischen Markt bis dato eher als Elevator-Company bekannt sind, versuchen wir (1) den Bereich Mining Technologies im relevanten Umfeld bekannter zu machen und (2) als „one-stop-shop“, der den Kunden von der Planung bis zur Projektumsetzung ganzheitlich betreuen kann, zu positionieren. Ursprünglich hätten zwei Messen hier eine Rolle in der Kampagne, die im Mai gestartet ist, gespielt. Nun konzentrieren wir uns auf länderspezifische Social Media Ads wie VK und OK, Suchmaschinen-Ads in Yandex und Google sowie Re-Targeting-Maßnahmen. Zentrale Conversion stellt der Download eines Whitepapers auf einer Kampagnenmicrosite da. Hier erleben wir also sehr konkret den Shift von geplanten Messe-Kosten zu Anzeigen auf digitalen Touchpoints. In anderen Geschäftseinheiten, zum Beispiel im Bereich Cement Technologies, gehen wir ähnlich vor.
Wie sieht es mit der Lead-Qualität bei den digitalen Formaten im Vergleich zur Live-Messe aus?
Hier ist es für uns noch zu früh einen abschließenden Vergleich anzustellen. Klar ist, ein Whitepaper laden sich auch Mitarbeiter von Wettbewerbern herunter. Auf einer Messe würden wir die VCard dieser Personen nicht scannen und ins CRM überführen. Aber auch auf Messen kommen viele Besucher, die nicht zu unseren Zielkunden gehören, sondern auf der Suche nach Kooperationen sind oder eher uns etwas „verkaufen“ wollen. Ich bin selbst gespannt, ob wir mit unseren rein digitalen Kampagnen die Messeausfälle und -verschiebungen kompensieren können oder eventuell sogar erfolgreicher sind. In vielen Fällen fahren wir in den Ländern das erste Mal messbare Kampagnen, so dass wir momentan sehr viel über Relevanz, Nutzerverhalten etc. lernen.
Spielen „analoge“ Messen nach der Corona-Krise weiterhin eine wichtige Rolle in eurem Marketing-Mix oder werdet ihr auf die ein oder andere Beteiligung verzichten?
Generell beobachte ich eine zunehmend kritische Betrachtung klassischer Messen. Im digitalen Marketing haben wir uns daran gewöhnt – in der Regel in Echtzeit – unsere Maßnahmen überprüfen und adjustieren zu können. Messen unterliegen auch bei uns in einigen Fällen einer abschließend qualitativen Einschätzung – gerade wenn einzelne Regionen diese in Eigenregie planen und umsetzen. Das lädt sowohl in der Planung als auch in der Nachbetrachtung dazu ein, dass sich viele Menschen in einer Organisation dazu berufen fühlen, Ihre Einschätzung kundzutun. Nicht nur Messen, sondern für alle Offline-Aktivitäten ist es zwingend erforderlich, den Erfolg der Maßnahmen zu messen. Sonst verkommt das Marketing zum Breitensport in der Organisation.
Momentan vermag ich noch keine Prognose abzugeben, ob Messen nach der Corona-Krise noch einmal eine genauso wichtige Rolle wie vorher einnehmen werden. Die internationalen Leitmessen werden vermutlich in kleinerer Dimension stattfinden, da auch geschäftliche Flugreisen und Reisetätigkeiten generell abnehmen könnten. Grundsätzlich rate ich jedoch auch davon ab, digitale Marketingaktivitäten dogmatisch als die eine Lösung zu betrachten. Ich habe gerade auf der letztjährigen bauma Messe erlebt, wie faszinierend es ist, viele Produkte live zu sehen und auch in Aktion zu erleben. Der Produktlaunch zu unserem Messe-Highlight-Produkt ERC wurde beispielsweise von mehr als 1.400 Menschen live verfolgt. Die Emotionen, die ein Live-Event hervorruft, eins zu eins in einen digitalen Kanal zu übertragen, ist sehr anspruchsvoll. Viele Kunden und Interessenten stehen mit leuchtenden Augen vor den Produkten und wollen diese auch wirklich anfassen. Das bleibt für viele Messebesucher ein wichtiges Bedürfnis.
Welche Tipps würdest du anderen B2B-Marketern geben, die von den zahlreichen Messeverschiebungen betroffen sind?
Ich rate, dass sich B2B-Marketer auf die Vermarktungsziele und die inhaltliche Kreation, beginnend mit der Story, die erzählt werden soll, zu konzentrieren. Das klingt trivial. Aber viel zu häufig werden Messen gemacht, weil „wir schon immer dahingegangen sind“, „der Wettbewerb auch da ist“ oder ähnlich. Corona bietet nun auch die Chance, zentrale Elemente des Marketingkonzepts wie Inhalte, Ansprache neu zu denken und entsprechend auch neue Kanäle zu testen. Letztlich geht es bei allen Maßnahmen um den Kundennutzen und den Fit zur eigenen Marke. Ich empfehle neue Ideen mit kleinen Testbudgets umzusetzen und regelmäßige Reviews durchzuführen. Die Zeit starrer, wasserfallartiger Kommunikations- und Marketingpläne, an deren Ende ein Event wie eine große Messe stand, ist meiner Meinung vorbei.
Vielen Dank für das nette Gespräch!
*Carsten Sichler leitet die globale Markenkommunikation und das Marketing bei der thyssenkrupp Industrial Solutions AG.
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