B2B Marketing Days 2019 Kannst du das mal posten? – B2B Corporate Influencing bei Siemens

Autor / Redakteur: M.Sc. Markus Weinländer / Julia Reger

Im Consumer-Bereich haben sich Influencer als ernsthafter Kommunikationskanal etabliert. Aber wie sieht es im B2B Umfeld aus? Die Wirkung von anerkannten „Thought Leadern“ ist unbestritten, ebenso wie das oftmals geringere Vertrauen in offizielle „Marketing-Botschaften“. Siemens setzt deshalb auf seine Mitarbeiter als „Corporate Influencer“.

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Das Unternehmen Siemens setzt auf seine Mitarbeiter als „Corporate Influencer“.
Das Unternehmen Siemens setzt auf seine Mitarbeiter als „Corporate Influencer“.
(Bild: gemeinfrei / Unsplash)

Social Media lebt von Geschwindigkeit und persönliche Authentizität. Etwas, was in offiziellen Konzernstrukturen schwerfallen kann. So galt bei Siemens lange die Regel, dass jede öffentliche Äußerung eines „Siemensianers“ durch die Pressestelle freizugeben ist. Praktisch kann damit aber keine aktive Teilnahme in sozialen Netzwerken erfolgen, wo Tag für Tag neue Posts und Kommentare zu schreiben sind. Clarissa Haller, seit 2016 oberste Kommunikateurin bei Siemens, hat deshalb einen radikalen Ansatz gewählt: Wir vertrauen unseren Mitarbeitern, dass sie die Dinge gut und sinnvoll angehen – mit Begleitung und Ausbildung, aber ohne Kontrolle. Und mit „Mitarbeiter“ sind nicht nur die Vorstände und CEO Joe Kaeser gemeint (die auch regelmäßig online aktiv sind), sondern auch Fachexperten oder Führungskräfte aus dem mittleren Management.

Raum für Zwischentöne: Ein Interview mit einem Professor zu juristischen Fragen von Industrie 4.0 hätte früher kaum Platz gefunden. Jetzt gibt es dafür den Ingenuity-Blog.
Raum für Zwischentöne: Ein Interview mit einem Professor zu juristischen Fragen von Industrie 4.0 hätte früher kaum Platz gefunden. Jetzt gibt es dafür den Ingenuity-Blog.
(Bild: Siemens AG)

Das Motto: Kontrollierter Kontrollverlust

Vor diesem Hintergrund trat Corporate Communications im April 2018 an ausgewählte Mitarbeiter heran, die zum Beispiel bereits als Autoren von Fachbeiträgen bekannt waren, und ermunterte sie, auf den sozialen Netzwerken (insbesondere LinkedIn) sowie auf dem Siemens Ingenuity Blog mit eigenen Beiträgen aktiv zu werden. Ohne aber Regeln mitzugeben (außer natürlich Dinge wie die Beachtung von Bildrechten oder dass vertrauliche Informationen tabu sind). Insbesondere wurde klargestellt: Ihr müsst nicht zu 100 Prozent den Siemens-Botschaften folgen – wenn Ihr eine ergänzende Perspektive habt, dann ist das in Ordnung. Kontrollierter Kontrollverlust um der höheren Wirkung willen, lautet das Motto.

Die ersten Gehversuche der Corporate Influencer

Bei „Industrial Communciation and Identification“, einem Geschäftssegment von Siemens Digital Industries, unternahm man daraufhin die ersten Gehversuche. Die Einheit beschäftigt sich mit Kommunikationsausrüstung für industrielle Anwender, zum Beispiel mit Switches, Security, Industrial Wireless LAN, Gateways für das Industrielle Internet der Dinge (IIoT), Echtzeit-Funkortungssysteme (RTLS) oder Radio-Frequency Identification (RFID) – zusammengefasst unter der Mission „Digital Connectivity for Industry“. Einerseits eine große Themenbreite, andererseits gab es noch wenig Erfahrung mit Story-Telling in einem solchen High-Tech-Umfeld. Die Veröffentlichung von reinen Produktankündigungen oder ein „Business Facebook“ („Hey, bin auf dem Kongress XY, tolle Redner hier!“) wurden aber als Inhalte bald ausgeschlossen.

Nach einem Profile-Polishing durch einen Kommunikationsexperten wurde deshalb für den ersten „Corporate Influencer“ des Segments eine Positionierung erarbeitet, die sich zwischen „Digital Connectivity Evangelist“ und seriösem Fachexperten bewegt. Die Posts behandelten also Inhalte aus Vorträgen und Konferenzen, Hintergrundinformationen zu Technologien/Produkten/Lösungen, „Breaking News“ (zum Beispiel von einer Pressekonferenz) sowie Kundenbeispiele. Waren es zunächst ausschließlich Text und Foto, wird inzwischen auch ab und an mit Videos gearbeitet.

Eine neue Art der Zusammenarbeit

Doch neben der kommunikativen Perspektive gestaltete sich auch die Art der Zusammenarbeit spannend. Corporate Influencing wurde nicht verordnet (was auch nicht funktionieren würde), sondern den Mitarbeitern wurde schlicht der Freiraum gegeben, wenn sie Lust haben sich hier zu betätigen. Inzwischen hat sich eine Siemens-interne Community gefunden, die von der Kommunikationsabteilung betreut wird – nicht im Sinne von Regeln und Freigaben, sondern in einem gemeinsamen Lernen. Eine Art des Arbeitens, die nicht oft zu finden ist in Konzernen, in denen in der Regel Projekte oder Teams „eingesetzt“ oder „ernannt“ werden, statt auf die Selbstorganisation der Experten zu vertrauen. Dementsprechend gab es seit dem Start der Corporate Influencer ab und an kritische Rückfragen im eigenen Umfeld: „Wer hat dich denn dazu beauftragt? Darfst du das? Wer gibt das zur Veröffentlichung frei?“ – und erstaunte Blicke bei den Antworten „Klar darf ich das, ich soll es sogar, und nein, es gibt niemand frei!“.

Corporate Influencing – Ein Erfolgsmodell?

Hat Siemens mit seinem Konzept Erfolg? Nun, der Erfolg von Kommunikation lässt sich praktisch kaum messen; auch die üblichen KPI zu Social Media sind mit Vorsicht zu genießen. Einige qualitative Einschätzungen und Erfahrungen machen aber Mut, Corporate Influencing als Erfolgsmodell fortzuführen:

1. Marketing und Kommunikation sind bunter geworden. Als Business Segment können Themen auch in Zwischentönen bespielt werden statt nur auf den offiziellen Kanälen oder den klassischen Instrumenten. Ein Experten-Interview mit einem eigenen Mitarbeiter, eine eigene Einschätzung zu Technologie-Trends (die auch nicht zu 100 Prozent dem Konzern-Standpunkt entsprechen muss!), ein Blick hinter die Kulissen – das alles steht nun auf der Kommunikations-Klaviatur zur Verfügung.

2. Marketing und Kommunikation sind effektiver geworden. Ein Fachaufsatz wurde früher in 1-2 Magazinen veröffentlicht, vielleicht noch fremdsprachig, und landete danach als PDF irgendwo im Internet. Heute lässt ein derartiges Asset für mehrere Postings durch verschiedene Channels und für den Ingenuity-Blog nutzen. Dabei kann die Reichweite einzelner Posts durchaus die Auflage von Fachmagazinen erreichen. Ebenso mit Veranstaltungen: Bewerbung im Vorfeld wurde auch früher durchgeführt, aber jetzt kann dies breiter und auf verschiedenen Kanälen erfolgen. Und es lässt sich vielfältig über das Event berichten – eine Video-Aufzeichnung der Keynote, ein Interview mit einem der Redner auf dem Blog, Live-Posts auf LinkedIn und Twitter.

3. Marketing und Kommunikation erreichen über die Corporate Influencer eine höhere Interaktion mit den Lesern. Zwar liegt die reine Reichweite deutlich unter den offiziellen Kanälen (zum Beispiel „Siemens Industry“ auf LinkedIn und Twitter), aber die Anzahl der Interaktionen sind bei den Influencern höher: nicht nur relativ zur Reichweite, sondern manchmal sogar in absoluten Zahlen. Aber es ist kein „Entweder/Oder“, sondern die verschiedenen Kanäle ergänzen sich wechselseitig in vorzüglicher Weise. Da mag ein Mitarbeiter ein Siemens-Post auf seinem Account teilen und kommentieren, oder aber die offizielle Kommunikation greift einen interessanten Blog-Beitrag eines Mitarbeiters auf. Auf Twitter genügt schon ein „Like“ durch @SiemensIndustry, um einen Post weiter zu pushen. Und auch die Marke profitiert davon, wenn ein Konzern wie Siemens durch seine Corporate Influencer auf einmal Gesichter mit fundierten Standpunkten bekommt. Siemens ist nicht mehr abstrakt und weit entfernt, sondern eine Organisation mit Experten, die man einfach kontaktieren kann. Denn im vielstimmigen Chor des Social Internets gilt immer mehr „People trust people“!

Kilian Löser, Dr. Ruth Flosdorff und Markus Weinländer – Gesichter einer Marke: Auch Siemens profitiert durch die persönliche und authentische Online-Präsenz seiner Experten – und deren Meinung muss nicht immer zu 100% den Konzern-Botschaften entsprechen.
Kilian Löser, Dr. Ruth Flosdorff und Markus Weinländer – Gesichter einer Marke: Auch Siemens profitiert durch die persönliche und authentische Online-Präsenz seiner Experten – und deren Meinung muss nicht immer zu 100% den Konzern-Botschaften entsprechen.
(Bild: Siemens AG)

Aber die Influencer-Initiative wirkt nicht nur nach außen. Mitarbeiter lassen sich inzwischen motivieren, über ihre Arbeit zu berichten und so als Botschafter für Siemens zu wirken. Vertriebskollegen weltweit freuen sich über Themen und Ideen, die sie aus den Posts bekommen. Und der „kontrollierte Kontrollverlust“ kann auch ein Impuls sein, in anderen Bereichen und Funktionen des Konzerns eine ähnliche Art des Zusammenarbeitens zu etablieren.

Vortrag zum Thema: Corporate Influencing bei Siemens

Mehr zum Thema präsentierte Markus Weinländer auf den marconomy B2B Marketing Days am 15. und 16. Oktober 2019 in Würzburg. Den vollständigen Vortrag können Sie hier sehen:

Alle Learnings des Marketing-Fachkongresses für den Mittelstand finden Sie in unserem Nachbericht:

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