China Market Insider Kein Marketing mehr ohne Kurzvideos in China
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Marketing in China ist endgültig in der Ära der Kurzvideos angekommen. Am 20. Juni hat WeChat offiziell seinen Kurzvideo-Kanal „Channels“ eröffnet. Am 23. Juni, drei Tage später, hatten sich bereits 200 Millionen private und geschäftliche Nutzer registriert, verkündete Zhang Xiaolong, in China als „der Vater von WeChat“ bekannt, in einem Post.

Zwei Tage nach WeChat zog Chinas zweitwichtigstes soziales Medium, Weibo, mit der Ankündigung nach, mit dem internen Testen von „Weibo Videokonten“ zu beginnen. Beide Social-Media-Giganten Chinas wollen also den lukrativen Markt der Kurzvideos nicht länger den bisherigen Anbietern überlassen.
Sieben von zehn Internetnutzern in China nehmen Kurzvideos auf
Das Marketing mit Hilfe von Kurzvideos war für Marken in China bereits seit Jahren zunehmend wichtiger geworden. 820 Millionen Internetnutzer in China nutzen inzwischen dieses Format, ist einem Bericht von QuestMobile aus dem Juni zu entnehmen. Das bedeutet, dass sieben von zehn Internetnutzern in China Kurzvideos aufnehmen, teilen oder konsumieren.
Zeitgleich mit dem Interesse der Nutzer wachsen die Werbeeinnahmen der Plattformen, und auch dieses Wachstum kann nur als explosiv bezeichnet werden. Im Jahr 2018 etwa stiegen die Werbeeinnahmen um 744 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im kommenden Jahr soll der Meilenstein von 100 Milliarden RMB (rund 12,6 Milliarden Euro) Werbeeinnahmen für Kurzvideo-Content in China erreicht sein, schätzen Marktbeobachter.
Angefangen hatte der Trend, der nun neben Livestreaming zum überragenden Marketing-Trend der Post-Covid-19-Periode in China geworden ist, im Jahr 2012 mit der Kurzvideo-Plattform Kuaishou. Die von Tencent und Alibaba finanzierte Firma ist außerhalb Chinas als Kwai bekannt. In China hat die Plattform 300 Millionen DAU oder täglich aktive Nutzer. Die Mehrheit sind jüngere Männer in Chinas Kleinstädten oder auf dem Land.
2016 stieg der Konzern Bytedance mit in den lukrativen Markt ein. Er gründete die immens erfolgreiche Kurzvideo-Plattform Douyin, außerhalb Chinas als TikTok bekannt und mittlerweile in 75 Ländern der Erde unterwegs. In China hat Douyin 400 Millionen DAU. Die Mehrheit sind jüngere Frauen, auch in Chinas Großstädten, was die Plattform bisher für Werbekunden besonders attraktiv gemacht hatte.
WeChat vs. TikTok
Die Experten sind sich jedoch in China ziemlich einig, dass der Markteintritt von WeChat eine ernsthafte Herausforderung für Douyin/TikTok sein wird. Da ist zum einen die etablierte Basis von 1,2 Milliarden Nutzern. Die 200 Millionen Chinesen, die jetzt schon auf dem gerade lancierten Kurzvideo-Kanal „Channels“ gelandet sind, dürfen daher mit großer Wahrscheinlichkeit als kleine Vorhut bezeichnet werden.
Auch sind sich die Experten einig, dass WeChat für seine Kurzvideos auf „Channels“ die langfristig erfolgreichere Strategie habe. So setze WeChat bei Kurzvideos deutlich auf „Zurückhaltung“, kommentierte diese Woche etwa die Nachrichtenplattform Sohu.com. Nutzer sehen zunächst nur, was ihre Freunde anschauen und weiterempfehlen. Ein Algorithmus empfiehlt dann zwar weiteren Content, dies jedoch weitaus weniger aggressiv als bei Douyin/TikTok oder Kuaishou/Kwai. Damit würden die Nutzer weniger behelligt und langfristig besser an das Medium gebunden, was sowohl für das B2B- wie für B2C-Marketing wichtig sei, schreibt sohu.com.
Spätestens seit der Coronakrise sind auch die Tage gezählt, wo Kurzvideos vor allem für Kosmetikwerbung wichtig waren. Mittlerweile zählen die 15 bis 60 Sekunden langen Spots auch als wichtiger Marketing- und Vertriebskanal für industrielle Güter, von schweren Nutzfahrzeugen bis hin zu Weltraumraketen.
Kein Wunder also, dass die in China bekannte Service-Plattform Huicong Network bereits ein Firmenkonto auf WeChat Channels eröffnet hat, auf dem Marketingprofis und Einkaufsmanagern der korrekte Umgang mit Kurzvideos erklärt wird. Gleichzeitig haben chinesische und internationale Marken aller erdenklichen Branchen damit begonnen, den bekanntesten Influencern des Landes, in China „KOL“ oder „Key Opinion Leaders“ genannt, lukrative Exklusivverträge für das Marketing mit Kurzvideos anzubieten.
*Henrik Bork, langjähriger China-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau, ist Managing Director bei Asia Waypoint, einer auf China spezialisierten Beratungsagentur mit Sitz in Peking. „China Market Insider“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der Vogel Communications Group, Würzburg, und der Jigong Vogel Media Advertising in Beijing.
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