Programmatic im B2B Programmatic Advertising – 7 aktuelle Herausforderungen im B2B

Autor / Redakteur: Steffanie Gohr* / Julia Krause |

Einer der größten Treiber des Online-Werbemarktes ist derzeit Programmatic Advertising. Es wird prognostiziert, dass der programmatische Handel in wenigen Jahren für alle Märkte und Medien zur Standardeinkaufsmethode wird. Doch anders als im B2C agieren Agenturen und Marken im Business-Sektor noch zögerlich.

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Programmatic Advertising bietet große Potenziale – sofern Marketer diese sieben Herausforderungen meistern.
Programmatic Advertising bietet große Potenziale – sofern Marketer diese sieben Herausforderungen meistern.
(Bild: gemeinfrei / Unsplash)

Rund 38 Prozent der deutschen Marken und Agenturen buchen ihre Display-Kampagnen aktuell programmatisch ein, sagt Zenith in ihren Programmatic Marketing Forecasts. Weitere Wachstumskanäle sind Mobile, Audio, Video und Out of Home. Fast 84 Milliarden Dollar werden Werbetreibende danach dieses Jahr weltweit programmatisch einsetzen, rund 14 Milliarden mehr als im Vorjahr. 2020 sollen es schon 98 Milliarden US-Dollar sein, ganze 68 Prozent der Investitionen in digitale Medienwerbung.

Programmatic Advertising meint dabei den automatisierten Ein- und Verkauf von Werbeflächen (Inventar) über digitale Plattformen statt der traditionellen Ausschreibungen und telefonischer Verhandlungen (Insertion Orders). Platziert wird Inventar in den Kanälen Desktop, Mobile, Audio, Digital out of Home, und Video/TV. Werbetreibende Unternehmen (Demand Side) bieten in einem automatisierten Auktionsprozess in Echtzeit auf die gewünschten Werbeflächen. Leistungsfähige Algorithmen verkaufen die Werbeflächen der Publisher (Sell Side) automatisiert auf Basis der optimalen Gebotshöhe sowie der Kampagnenziele und steuern das gewünschte Werbemittel aus.

Im Consumer-Sektor ist diese Buchungspraxis schon weitgehend etabliert, nicht so im B2B. Dabei ist die Buchung auf Basis präziser Daten besonders im Business-Sektor mit seinen hochpreisigen Produkten erfolgsentscheidend, bestätigt Daniel Weber, Geschäfsführer von Kontor Digital Media: „Ein B2B-Entscheider handhabt Projektvolumina im fünf- oder sechsstelligen Bereich. Ein Lead ist entsprechend mehr wert als bei einem klassischen E-Commerce-Kunden mit einem Warenkorb-Umsatz von 100 Euro.“ Im Business-Sektor kann der programmatische Einkauf also große Potenziale heben – sofern Werbetreibende, Agenturen und Publisher folgende Herausforderungen meistern.

Challenge 1: Wahre Stärken erkennen

Die zielgerichtete Ansprache durch Data Driven Advertising ist die Stärke des Programmatic Advertising - und nicht etwa, wie oft angenommen, durch automatisierte Prozesse den Einkauf von Werbeflächen zu rationalisieren, betont Daniel Weber von KDM: „Es geht weniger um die Vorteile bei der Buchung, als vielmehr um die Vorteile bei der Erreichung der Zielgruppen.“ Dazu gehöre auch, Werbemittel auf Basis von Echtzeitdaten zu optimieren. Budgets können im Verlauf einer Kampagne entsprechend auf die leistungsstärksten Kanäle verlagert werden.

Challenge 2: Komplexität und Kostenintensität erkennen

Die zielgerichtete und stufenweise Ansprache von Business-Zielkunden ist wichtiger und komplexer als bei reichweitenorientierten B2C-Werbetreibenden, da der einzelne Entscheiderkontakt wertvoller ist als im Consumer-Bereich. Reichweiten und Inventar sind überschaubar, deshalb entfällt laut Oliver Müller, Senior Partner bei Adventori, die klassische `Restvermarktung` von Inventar wie im B2C, und Tausenderkontaktpreise (TKP/Cost per Mille – CPMs) liegen höher. Hinzu kommen die allgemeinen Kosten für Programmatic-Prozesse: Gebühren für die Demand-Side-Plattformen, Data-Management-Platformen, Brand-Safety-Tools und externe Daten.

Challenge 3: Targeting-Qualität permanent prüfen

Gegen die Kostenexplosion hilft laut Benjamin Bunte, Geschäftsführer bei Performance Media, nur eines: Eine möglichst effektive Ansprache der spitzen Zielgruppen nach der Devise `Qualität statt Quantität`. Das Problem laut Bunte: „Im Business-Bereich stehen in der Ansprache der Zielgruppen die erforderlichen Daten entweder nicht zur Verfügung, sind nicht umfangreich genug oder zu unspezifisch.“ Daniel Weber von KDM fügt hinzu, viele Special Interest Titel seien technisch noch nicht so weit oder sähen die Vorteile nicht, sich auch über eine Ad Exchange – einen Marktplatz für den Handel von Online-Werbeflächen – zu vermarkten. Auch die geringen Fallzahlen erschwerten das Targeting.

Deshalb seien neben den Klassikern Whitepaper-Downloads oder Newsletter-Anmeldung sekundäre Metriken und Kennzahlen bedeutsamer, etwa die Verweildauer und die Anzahl angesehener Seiten. „Oft werden weitere, niedrigschwellige Stufen eingezogen für eine höhere Conversion-Rate und -Wahrscheinlichkeit, etwa Micro-Conversions wie der Besuch des Impressums, der auf ein Interesse an einer Zusammenarbeit hindeuten kann.“ Dennoch sei die Targeting-Qualität oft zu ungenau. Nichtsdestotrotz präsentierten Vermarkter und Agenturen Digitales Marketing oft als `Targeting-Wunderwerk`. Dabei sei es wichtig, Targetingkriterien und Datenquellen permanent auf den Prüfstand zu stellen und die Kunden offen über Vor- und Nachteile aufzuklären. Oliver Müller von Adventori mahnt außerdem an, Datensilos abzubauen und beim Targeting auch zu bedenken, dass sich das Verhalten der Zielgruppen im Laufe der Zeit ändern kann: „Hier helfen Segmentierungen und ein A/B-Testing.“

Um spezifische B2B Zielgruppen effektiv anzusprechen, müssen Daten-Potenziale erkannt und ausgenutzt werden. Die Wirkung der Kampagne wird durch Media-Retargeting (Kontaktvertiefung) und first party data (DMP) verstärkt. Gleichzeitig erhöht sich die Reichweite und neue Touchpoints werden ermöglicht.
Um spezifische B2B Zielgruppen effektiv anzusprechen, müssen Daten-Potenziale erkannt und ausgenutzt werden. Die Wirkung der Kampagne wird durch Media-Retargeting (Kontaktvertiefung) und first party data (DMP) verstärkt. Gleichzeitig erhöht sich die Reichweite und neue Touchpoints werden ermöglicht.
(Bild: Kontor Digital Media)

Challenge 4: First-Party-Datenpool aufbauen

Im Business-Kontext sind First-Party-Daten das Non plus ultra, weiß Benjamin Bunte von Performance Media. First-Party-Daten sind Informationen, die Werbetreibende selbst offline und online über potenzielle Kunden generieren, von Demographie und Region bis zu Verhalten, Interessen und Bewegungsmustern. Erhoben werden sie über IP-Adressen, Cookies, E-Mail-Adressen und Geräte-IDs auf Webseiten, in Newsletter-Anmeldungen und über Transaktionen. Der Vorteil: Das Unternehmen hat jederzeit Kontrolle über diese Daten und kann sie im Rahmen der Datennutzungserklärung unabhängig von Dritten verwenden und in eine Data Management Platform (DMP) integrieren. „Werbekunden tun deshalb gut daran, ihre eigenen Kunden besser kennenzulernen, First-Party-Daten zu bilden und die Abhängigkeit von den großen Plattformen zu verringern.“

Challenge 5: Second- und Third-Party-Daten kritisch betrachten

Benjamin Bunte moniert: „Bis heute existiert kein Daten-TÜV, der die Qualität von Second- oder Third-Party Daten verifiziert, was für den gesamten Markt einen Mehrwert brächte. Deshalb kann man die Wirksamkeit maximal an Kennzahlen zweiter oder dritter Ordnung wie Engagementraten oder Cost-Per-Order (CPO) ablesen.“ Die geplante E-Privacy-Richtlinie reduziere den Stellenwert dieser externen Daten weiter.

Second-Party-Daten sind Daten aus dem Ad Server, von Marktforschern, Partnern, Analyse-Diensten, Fachmedien und Messeveranstaltern. Messeveranstalter bieten etwa Audience Marketing-Daten, für die sie Kunden- und Besucherdaten themenspezifischer Fach-Events aus Anmeldung oder Ticketverkauf mit dem Suchverhalten in Aussteller- oder Produktverzeichnissen kombinieren. Die Daten werden, nicht-personalisiert, anhand ihrer Cookies identifiziert und können außerhalb der Zielseiten wiedererkannt und adressiert werden. Third-Party-Daten sind zusammengefasste Daten über einen Nutzer, die externe Anbieter über diverse Quellen und Webseiten sammeln oder erwerben und ihrerseits anbieten. Sie dienen meist der Neukundengewinnung. Unternehmen sollten Second- und Third-Party-Daten unbedingt mit entsprechenden Segmentierungen und Tests auf Qualitätsmerkmale prüfen.

Challenge 6: Wert auf Brand Safety legen

Ein sicheres und hochwertiges Umfeld für Markenbotschaften (Brand Safey) ist im Businesssektor mit seiner anspruchsvollen Klientel besonders wichtig. Ein wichtiger Player im B2B-Markt sind deshalb Fachmedien. Auf deren Portalen gehe es meistens nicht um Real Time Bidding, also den freien Handel mit möglichst geringen Tausenderkontaktpreisen, erklärt Oliver Müller von Adventori: „Stattdessen werden Werbeplätze auf Private Marketplaces gehandelt und Direct Deals abgeschlossen. Das sind Buchungen zu vorher festgelegten fixen Konditionen in Bezug auf Umfeld, Preis, Volumen und Targeting, ähnlich wie in der nicht programmatischen Welt.“ Dieses Vorgehen sichert Brand Safety für werbetreibende Unternehmen und eine hohe Qualität der Werbebotschaften, bringt aber höhere Kosten mit sich, auch, weil Fachverlage – ob Handwerk, Gesundheit oder Immobilien - oft zusätzliche Daten und Profile von Nutzern anbieten können.

Challenge 7: Zwingend Retargeting einplanen

Ähnlich wie Consumer tummeln sich auch Business-Zielgruppen nicht nur in einem Kanal. Ohne (Media-)Retargeting, also die neuerliche Ansprache der Business-Klientel auf weiteren Umfeldern, verschenken Marken und Agenturen wertvolles Potenzial. Daniel Weber zählt mögliche Kontaktchancen auf: „Morgens mobil am Frühstückstisch beim ersten Mail-checken. Während der Fahrt über Fach-Podcasts, im Büro über Desktopformate in Fachumfeldern, und auf Messen über Geofencing.“ Media-Retargeting könne in vielen Fällen auch die geringe Reichweite und die hohen Preise von Fachumfeldern kompensieren. Laut Simon Torrico, Director Digital Commercial Solutions G+J e|MS hängen die genutzten Mediengattungen dabei von der Branche ab: „Im Falle einer Messe oder Veranstaltung bietet sich ein Out of Home-Format direkt am Veranstaltungsort an, auch im Zusammenspiel mit Mobile Advertising, Fachmagazinen und Netzwerken wie Xing und Linkedin.“

Fazit: Große Chancen, aber kein Selbstzweck

Neben Fachmedien und -messen sprechen auch immer mehr Wirtschafts-, Publikums- und Leitmedien mittlerweile gezielt Business-Zielgruppen programmatisch an. Die Vermarkter G+J e|MS (Business Punk, Capital, Brigitte) und iq digital media marketing (Faz, Zeit, Handelsblatt, Wirtschaftswoche) nutzen Programmatic Advertising seit Jahren als gleichberechtigten Einkaufsweg zu etablierten Online-Disziplinen. Die Technologien stammen aus dem eigenen Haus und aus der Zusammenarbeit mit führenden Data-Dienstleistern. Simon Torrico sagt: „Die Anzahl der Kampagnen sowie der buchenden Kunden aus dem B2B-Bereich nimmt stetig zu.“ Individuelle Content Marketing-Lösungen gewännen dabei an Bedeutung, um die Markengeschichte auf verschiedene Zielpersonen abzustimmen. Auch kontextuelle Umfelder würden wichtiger. Dabei erscheint die Botschaft in einem passenden inhaltlichen Zusammenhang. Wie das geht, erläutert Daniel Gerold, Director Digital Ad Technology bei G+J e|MS: „Die Branchenfachpublikation hat Nutzerdaten, der Werbetreibende eigenen First-Party-Daten durch sein Vertriebs-, Händler- oder Kundennetzwerk oder von Fach- und Branchenveranstaltungen wie Fachmessen. Hat er keine eigenen Daten, nutzen wir Third-Party-Datentöpfe. Beide Quellen werden kombiniert.“ Das nutze der Vermarkter auch für eigene Fachkampagnen im Umfeld von Fachmedien, um etwa Marketingentscheider zu erreichen.

Die Chancen, Business-Entscheider datenbasiert gezielt anzusprechen, steigen also. Programmatic Advertising erfordert in der Business-Kommunikation allerdings höhere Investitionen, durchdachte Strategien und viel Fachwissen. Es wird aber seinen festen Platz finden, ist Daniel Weber von Kontor Digital Media überzeugt: „Daten- und Targetingqualität, Reichweite und Umfelder - alle Erfolgsfaktoren für die B2B-Kommunikation über Programmatic - entwickeln sich in hoher Geschwindigkeit weiter.“ Die Algorithmen für die Datenvalidierung und die Bildung von statistischen Zwillingen würden stetig leistungsstärker, die Expertise auf Seiten von Werbetreibenden und Agenturen wachse. Aber: „Programmatic ist kein eigener Kanal und kein Selbstzweck“, betont Florian Tempelhoff von iq digital media marketing gmbh. „Als Ausspielmetrik setzt sich Programmatic auch im B2B nur dort durch, wo über den Einsatz von hochwertigen Daten ein Mehrwert für Werbetreibende belegt werden kann. Dafür braucht man intelligente Datenmodelle, individuelle Konzepte, Marktverständnis – und Ideen.“

Praxisbeispiel: Hapag-Lloyd plant Einstieg in Programmatic Advertising

Das Transport- und Logistikunternehmen Hapag-Lloyd plant den Einstieg in Programmatic Advertising-Aktivitäten im Online-Marketing, um seine Kunden und potenzielle Neukunden in der Fracht- und Containerschifffahrt anzusprechen. Beworben werden zum Beispiel neue Online-Tools zum Buchen von Containern oder Zusatzversicherungen. Hapag-Lloyd hat im Rahmen seiner digitalen Transformation etliche Services und Produkte online verfügbar gemacht. Jenny Gruner, Digital Marketing B2B und Digital Transformation bei Hapag-Lloyd, erklärt: „Programmatic Advertising steckt in der Schifffahrt noch in den Kinderschuhen. Das wollen wir ändern und planen erste Tests, um unsere globale Zielgruppe künftig noch zielgerichteter und individueller zu erreichen. Programmatic eröffnet uns natürlich auch mehr Optionen, Reichweite aufzubauen und qualifizierteren Traffic zu generieren, indem wir zusätzliche Anbieter anbinden. Zudem werden die vielfältigen technischen Möglichkeiten unsere Resultate verbessern. Vor den Tests werden wir selbstverständlich unsere Hausaufgaben machen: Das Tracking verfeinern, eine Audience-Strategie aufsetzen und die Struktur für individuelle Creatives erstellen. Wir sind gespannt, welchen Boost Programmatic für unsere Kampagnen bringen wird.“

* Steffanie Gohr ist Marketing-Fachjournalistin und PR-Beraterin bei der Agentur Frau Wenk.

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